Kommt Ihnen das bekannt vor? „Mach doch mal mehr mit im Unterricht. Beteilige dich mehr, melde dich öfter. Denk mal ein bisschen mehr mit und löse die Aufgaben, die ich dir gebe. Zeig doch mal mehr Interesse für den Lernstoff.“ Zeit über Engagement im Unterricht nachzudenken…
[Anmerkung zum Text: Ich rede im Text von „Lerner*innen“ und „Lehrer*innen“. Diese Bezeichnungen beziehen sich nicht nur auf Personen in der Schule, sondern beispielsweise auch auf die Ausbildung und auf alle weiteren Lernumfelder.]
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Worte „Engagement“ oder „engagiert sein“ häufiger gebraucht. Auch unzählige Lehrer*innen haben sich sicher schon „etwas mehr Engagement“ von ihren Lerner*innen gewünscht. Doch was bedeutet Engagement in der Bildungsforschung?
Was ist Engagement im Unterricht?
Nach dem Angebots-Nutzungs-Modell von Unterricht1 geht man davon aus, dass Lerner*innen ihren Lernerfolg aktiv mitgestalten. Das bedeutet, dass sie Lernangebot auch aktiv nutzen müssen. Lernerfolg hängt dann nicht nur von Inhalten und Lehrer*innen ab, sondern auch von Lerner*innen und deren Engagement – grob gesagt: ihrem Einsatz im Unterricht und wie sehr sie sich einbringen.
Engagement ist ein individueller Prozess und bezieht sich auf die Interaktionen, die im Unterricht stattfinden. Es übersetzt die Motivation der Lerner*innen in lernförderliches Verhalten. Somit sind Motivation und Engagement eng miteinander verbunden. Engagement im Unterricht setzt sich aus verschiedenen Dimensionen zusammen.
Engagement von Lerner*innen ist kein neues Konstrukt, sondern wurde vor allem in den USA schon länger untersucht – sowohl in der Schule als auch in der Hochschule. In der Hochschule wurde es beispielsweise als Variable eingesetzt, um die Abbrecher*innen-Quoten zu untersuchen.
[1Angebots-Nutzungs-Modell von Unterricht nach Helmke (2007); Seidel (2014); Vieluf et al. (2020)]
Dimensionen des Unterrichtsengagements
Unterrichtsengagement kann sowohl in mentale als auch verhaltensbezogene Dimensionen unterteilt werden. Diese Dimensionen sind zwar separat, überlappen sich jedoch und stehen zueinander in wechselseitiger Verbindung.
Mentale Dimensionen des Unterrichtsengagements:
- Kognitives Engagement: Umfasst mentale Prozesse, die Lerner*innen einsetzen, z.B. Strategien zur Informationsverarbeitung, Selbstregulation oder Metakognition.
- Affektives Engagement: Umfasst die Emotionen von Lerner*innen in einer Unterrichtssituation, z.B. Interesse, Freude, Enthusiasmus, Langeweile und Angst.
Verhaltensbezogene Dimensionen des Unterrichtsengagements:
- Behaviorales Engagement: Umfasst beobachtbares Verhalten, wie Beteiligung am Unterrichtsgespräch, Aufmerksamkeitsverhalten.
- Agentic Engagement: Umfasst interaktive Prozesse, bei denen Lerner*innen die Unterrichtssituation aktiv mitgestalten, indem sie beispielsweise Bedürfnisse oder Präferenzen äußern.
Aus dieser Auflistung wird schnell klar, dass verhaltensbezogenes Engagement besser zu beobachten ist als die mentalen Dimensionen. Ob Lerner*innen den Unterricht schwänzen, stören, den Anweisungen folgen, sich melden, Fragen stellen und sich am Unterrichtsgespräch beteiligen, ist gut und einfach zu beobachten. Jedoch können Lerner*innen auch wenig verhaltensbezogenes Engagement zeigen und dennoch mental – kognitiv und emotional – ganz bei der Sache sein.
Engagement und Lernleistung
In der Lehr-Lernforschung hat sich Engagement als ein wichtiger Prädiktor herausgestellt, um Erfolg in der Schule und beim Lernen vorherzusagen. Jedoch kann das Engagement innerhalb einer Schulstunde und über mehrere Stunden hinweg bei Lerner*innen variieren. Auch die eingesetzte Sozialform im Unterricht kann das Engagement beeinflussen.
Verhaltensbezogenes Engagement hängt direkt mit Schulleistung zusammen. Das Agentic Engagement wirkt sich jedoch auch auf die Lehrer*innen aus, wenn Lerner*innen dieses Verhalten zeigen. Lehrer*innen unterstützen und motivieren ihre Lerner*innen dann häufiger.
Engagement selbst wird wiederum vom Fähigkeitsselbstkonzept der Lerner*innen beeinflusst. Genauer gesagt, zeigen Lerner*innen, die ihre Fähigkeiten hoch einschätzen, auch mehr Engagement im Unterricht.
Mein Kommentar
Auch wenn in der Forschung zu Engagement im Unterricht noch viele Fragen offen sind, ist das Thema in der Praxis täglich präsent. Durch Schulschließungen und Distanzunterricht während der Pandemie wurde das Thema sogar noch wichtiger, da viele Lehrer*innen ihre Lerner*innen nicht mehr wie gewohnt im Klassenzimmer/Seminarraum und im Blick hatten. Das Engagement von Lerner*innen während eines Online-Gruppenunterrichts einzuschätzen, ist sehr viel schwieriger – vor allem wenn man sich nicht nur auf die Aspekte des verhaltensbezogenes Engagement stützen möchte.
Doch auch im klassischen Unterrichtsgeschehen sollte man als Lehrer*in eben nicht davon ausgehen, dass man alle Dimensionen von Engagement sehen kann. Es gibt eine Reihe Gründe, warum Lerner*innen sich nicht melden, sich am Unterrichtsgeschehen nicht beteiligen oder keine Fragen stellen. Manche sind einfach schüchtern, andere haben Angst vor den Kommentaren anderer Lerner*innen. Dennoch können diese Lerner*innen Lernfreude erleben und den Lernstoff ausreichend durchdacht haben. Diesen Lerner*innen also zurückzumelden, sie wären nicht engagiert im Unterricht, ist demnach nur die halbe Wahrheit.
Quellen
Schnitzler, K., Holzberger, D., & Seidel, T. (2021). All better than being disengaged: Student engagement patterns and their relations to academic self-concept and achievement. European Journal of Psychology of Education, 36(3), 627–652. https://doi.org/10.1007/s10212-020-00500-6
Troll, B., Pietsch, M., & Besser, M. (2020). Verhaltensbezogenes Engagement im Unterricht: Eine Analyse der Generalisierbarkeit und Zuverlässigkeit von Videobeobachtungen. Zeitschrift Für Pädagogische Psychologie, 1–15. https://doi.org/10.1024/1010-0652/a000286