Genau mein Ding! – Fähigkeitsselbstkonzept

Was kann ich gut? Was kann ich gar nicht? In welchem Bereich bin ich besser als andere? Ab dem Teenageralter wissen Lerner oft recht gut, was sie können und was nicht. Doch dieses Wissen wirkt sich sowohl auf die Motivation als auch auf das Lernverhalten Ihrer Lerner aus.

[Anmerkung zum Text: Ich rede im Text von „Lernern“ und „Lehrern“, gemeint sind damit grundsätzlich alle Geschlechter. Außerdem beziehen sich diese Bezeichnungen nicht nur auf Personen in der Schule, sondern beispielsweise auch auf die Ausbildung und auf alle weiteren Lernumfelder.]

Selbstkonzept und Fähigkeitsselbstkonzept

Menschen wissen Dinge über sich selbst, beispielsweise „ich bin sportlich“, und können dieses Wissen auch benennen (deklaratives Wissen). Dabei bezieht sich das Selbstkonzept jedoch nicht auf Gefühle (z.B. Ich fühle mich von anderen geliebt), da dieser Anteil zum Konzept „Selbstwertgefühl“ gehört.

Für Lerner ist vor allem das Fähigkeitsselbstkonzept (auch schulbezogenes Selbstkonzept) von Bedeutung. Es beinhaltet Vorstellungen, Einschätzungen und Bewertungen, die die Fähigkeiten und Begabungen des Lerners betreffen. Jedoch müssen diese Vorstellungen über die eigenen Fähigkeiten dabei nicht immer realistisch sein. Sie können vom Lerner auch über- oder unterschätzt werden.

Da Lerner meist verschiedene Fächer belegen, ergibt sich daraus eine Hierarchie an Fähigkeitsselbstkonzepten. An der Spitze steht das schulische Fähigkeitsselbstkonzept (auch globales Fähigkeitsselbstkonzept), danach folgen bereichsspezifische Fähigkeitsselbstkonzepte (z.B. mathematisch-naturwissenschaftlich oder sprachlich) und fachspezifische Fähigkeitsselbstkonzepte für die einzelnen Fächer (z.B. Mathe, Chemie, Englisch, Deutsch). Doch auch innerhalb jeden Fachs können aufgabenspezifische Fähigkeitsselbstkonzepte auftreten (z.B. in Deutsch für Grammatik, Literatur, Rechtschreibung, etc.).

Auswirkung des Fähigkeitsselbstkonzepts auf die Lernleistung

Lerner mit hohem Fähigkeitsselbstkonzept erleben weniger aufgabenirrelevante Gedanken (z.B. Besorgnis: „Ich kann das sowieso nicht.“) bei der Bearbeitung einer Aufgabe. Sie nutzen häufiger Lernstrategien, die ihnen helfen, den Lernstoff zu verstehen und können sich besser selbst regulieren (mit metakognitiven Kontrollstrategien: z.B. „Ich bearbeite die Aufgabe erst zu Ende bevor ich auf mein Handy sehe.“). Auch wenn Probleme oder Schwierigkeiten auftreten, sind Lerner mit hohem Fähigkeitsselbstkonzept ausdauernder als Lerner mit niedrigerem Fähigkeitsselbstkonzept.

Letztlich bedingen sich das Fähigkeitsselbstkonzept und die Lernleistung gegenseitig. Vorherige Lernleistungen (sofern der Lerner sie reflektiert) beeinflussen das Fähigkeitsselbstkonzept. Das Fähigkeitsselbstkonzept wirkt dann auf nacholgende Lernleistungen.

Das Fähigkeitsselbstkonzept hat auch Auswirkungen auf die Motivation des Lerners, genauer gesagt auf seine Erfolgserwartung in Lern- und Leistungssituationen. Auf die Frage des Lerners, ob er die Aufgabe mit seinen Fähigkeiten überhaupt lösen kann, muss er zum einen einschätzen, wie schwer die Aufgabe ist, und zum anderen, wie gut seine Fähigkeiten sind. Aus diesen beiden Einschätzungen ergibt sich dann die Erfolgswahrscheinlichkeit für den Lerner, die Aufgabe zu bewältigen.

Obwohl sich ein hohes Fähigkeitsselbstkonzept positiv auf das Lernen und die Lernleistungen auswirken kann, gilt dies nicht für ein überhöhtes und unrealistisches Bild der eigenen Fähigkeiten. Dieses wirkt sich wiederum eher negativ auf das Lernen und die Lernleistungen aus. Besser für die Motivation ist ein moderat optimistisches Fähigkeitsselbstkonzept.

Entwicklung des Fähigkeitsselbstkonzepts

Das Fähigkeitsselbstkonzept von Lernern entwickelt sich durch deren Kompetenzerfahrungen beim Lernen (Wo erziele ich gute Ergebnisse? Was fällt mir schwer?). Zusätzlich spielt aber auch die elaborierte Ursachenzuschreibung (Attribution) der Lernleistungen eine Rolle. So beeinflusst ein schlechtes Prüfungsergebnis das Fähigkeitsselbstkonzept eines Lerners weniger, wenn er feststellt, dass auch viele andere Lerner aus seiner Gruppe ein schlechtes Ergebnis erzielt haben. Er könnte dann daraus schlussfolgern, dass es nicht an seinen Fähigkeiten, sondern an zu schweren Prüfungsfragen lag, dass er schlecht abgeschnitten hat. Dieses Beispiel beinhaltet aber auch einen weiteren wichtigen Punkt, der zur Entwicklung des Fähigkeitsselbstkonzept beiträgt: der Vergleich mit anderen.

Der Vergleich mit der Leistung anderer Lerner ist für das Fähigkeitsselbstkonzept entscheidender als das eigentliche Leistungsniveau des Lerners. Dieser Vergleich wird im „Internal/External Frame of Reference Model“ (auch I/E-Modell genannt) von Marsh (1986) auch external-sozialer Vergleich genannt (z.B. „In Englisch bin ich der Beste in meiner Lerngruppe.“). Im Model gibt es aber auch einen internal-dimensionalen Vergleich. Dieser tritt auf, wenn der Lerner seine Leistungen aus verschiedenen Fächern miteinander vergleicht (z.B. „In Biologie bin ich besser als in Geschichte.“).

Weiterhin spielen auch Fähigkeitshinweise (z.B. Lob) und Rückmeldungen von Bezugspersonen und Lehrern eine wichtige Rolle (Feedback). Lehrer, die schlechte Leistungen bemitleiden oder bei guten Leistungen des Lerners überrascht sind, beeinflussen damit das Fähigkeitsselbstkonzept der Lerner. Der Lerner interpretiert das Mitleid oder die Überraschung als geringe Fähigkeitseinschätzung durch den Lehrer und sein Fähigkeitsselbstkonzept verschlechtert sich.

Förderung des Fähigkeitsselbstkonzepts

Die Förderung des Fähigkeitsselbstkonzepts von Lernern ist nicht einfach, da dieses Konzept auch durch dimensionale und soziale Vergleiche zustande kommt, die automatisch ablaufen.

  • Rückmeldung: Feedback und Leistungsrückmeldungen sollten nicht auf das Selbst der Lerner abzielen (z.B. „Für dieses Fach bist du völlig unbegabt.“)
  • Attribution: Misserfolge sollten auf veränderbare Faktoren, wie Anstrengung, fehlende Lernstrategien oder fehlendes Wissen, zurückgeführt werden.
  • Anspruchsniveau: Lerner sollten unterstützt werden, sich weder zu leichte noch zu schwere Aufgaben auszuwählen, da diese nur wenig Rückmeldung zur tatsächlichen Leistung ermöglichen. Hingegen liefern Aufgaben mit passendem Schwierigkeitsgrad detaillierte Rückmeldungen für die Lerner.
  • Ziele: Entsprechend des Anspruchsniveaus sollten Lerner auch selbst herausfordernde Ziele formulieren können, um Rückmeldung zu ihren Fähigkeiten zu erhalten.

Mein Kommentar

Wenn (erwachsene) Lerner erst einmal überzeugt sind, dass sie etwas nicht können, meiden sie das Thema meist so gut es ihnen möglich ist (z.B.: „Ich bin unmusikalisch.“, „Ich bin unsportlich.“, „Mathe konnte ich noch nie.“, „Für Sprachen bin ich unbegabt.“). Dabei müssen diese Einschätzungen über die eigenen Fähigkeiten noch nicht einmal der Realität entsprechen. Sie haben sich jedoch zu stabilen Glaubenssätzen entwickelt, die fester Teil des Selbstbildes geworden sind und den weiteren (beruflichen) Lebensweg beeinflusst haben. Diese zu verändern ist oft ein steiniger Weg, der Mut, Ausdauer und eine Menge neuer gegensätzlicher Erfahrungen braucht.
Auf der anderen Seite können diese Einschätzungen auch durchaus realistisch sein und einem helfen, seine eigenen Fähigkeiten gut einzuordnen. (Wer beim Singen am Ende der Schulzeit keine Note trifft, wird wohl die Aufnahmeprüfung für klassischen Gesang an einer Musikhochschule nicht bestehen.)
Es ist jedoch nicht immer leicht, zu erkennen, welches die realistischen und welches die unrealistischen Konzepte sind. Man sollte daher immer mal wieder überprüfen, ob das eigene Fähigkeitsselbstkonzept noch auf dem neusten Stand ist. Nur weil man in der achten Klasse etwas langsamer erlernt hat als seine Mitschüler, muss das nicht zwangsläufig für den Rest des Lebens gelten.

Quellen

Dresel, M. & Lämmle, L. (2017). Motivation (StandardWissen Lehramt). In T. Götz (Hrsg.), Emotion, Motivation und selbstreguliertes Lernen (2., aktualisierte Auflage., S. 78–142). Paderborn; Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Grassinger, R., Dickhäuser, O. & Dresel, M. (2019). Motivation. In D. Urhahne, M. Dresel & F. Fischer (Hrsg.), Psychologie für den Lehrberuf (S. 207–227). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Möller, J. & Trautwein, U. (2015). Selbstkonzept (Springer-Lehrbuch). In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 177–199). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.